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Die NS-Gaue

Die NS-Gaue

Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen "Führerstaat" | Jürgen John; Horst Möller; Thomas Schaarschmidt

Taschenbuch
2007 Oldenbourg; De Gruyter Oldenbourg
Auflage: 1.1
483 Seiten; 28 mm x 160 mm
Sprache: Francais ,Deutsch
ISBN: 978-3-486-58086-0

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Besprechung
"hochinteressant und anregend" Herbert Schott, Mainfränkisches Jahrbuch 60 (2008) "Die Praxis der Herausgeber, den Beiträgen jeder Session eine schriftliche Fassung des jeweiligen Kommentators beizugeben, erweist sich als vorzügliche Form der Einführung in Forschungskontroversen und Forschungsforderungen. Der Band enthält einen informativen Anhang in Form von Karten, Tabellen und Abbildungen und ein ausführliches Verzeichnis der Forschungsliteratur." Bulletin für Faschismus und Weltkriegsforschung 31/32 (2008) "Der Band zeigt wichtige neue Ergebnisse, bedeutende Forschungsfortschritte, umfangreiche Aufgaben und erfolgreiche Wege." Ingo Materna, Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Osteuropas 54 (2008) "Die Lektüre der Publikation kann uneingeschränkt empfohlen werden." Anett Müller, Baltische Studien 94 (2008) "Wer auf diesem Themengebiet arbeitet, wird in Zukunft an dem dichten und gut redigierten Band nicht vorbeikommen." Johannes Vossen, Neue Politische Literatur Jg. 53, 2008

Kurztext / Annotation
Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Sondernummer

Einblicke in das NS-Herrschaftssystem

Wenn in der NS-Forschung der letzten Jahrzehnte von Gauen und Gauleitern die Rede war, richtete sich das Interesse vornehmlich auf die Parteistrukturen. Oder sie dienten als Fallbeispiele für regionalhistorische Detailstudien. Es fehlt hingegen bis heute eine systematisch-vergleichende Erforschung der NS-Gaue als konstitutive Elemente "neuer Staatlichkeit", wie sie sich im nationalsozialistischen "Führerstaat" seit Mitte der 1930er Jahre herausbildete. Hier setzt der vorliegende Band an. Das Ergebnis bietet erhellende Einblicke nicht nur in die regionalen Strukturen des NS, sondern in das Herrschaftssystem insgesamt. Themenfelder sind: Rassenpolitik und "Euthanasie", "Arisierung" und "Gegnerbekämpfung", Wissenschaft, Bildung, Kultur, Gauverwaltung, Gaue des "Altreichs", Die "Reichsgaue".


Langtext
Wenn in der NS-Forschung der letzten Jahrzehnte von Gauen und Gauleitern die Rede war, richtete sich das Interesse vornehmlich auf die Parteistrukturen. Oder sie dienten als Fallbeispiele für regionalhistorische Detailstudien. Es fehlt hingegen bis heute eine systematisch-vergleichende Erforschung der NS-Gaue als konstitutive Elemente "neuer Staatlichkeit", wie sie sich im nationalsozialistischen "Führerstaat" seit Mitte der 1930er Jahre herausbildete. Hier setzt der vorliegende Band an. Das Ergebnis bietet erhellende Einblicke nicht nur in die regionalen Strukturen des NS, sondern in das Herrschaftssystem insgesamt. Themenfelder sind: Rassenpolitik und "Euthanasie"; "Arisierung" und "Gegnerbekämpfung"; Wissenschaft, Bildung, Kultur; Gauverwaltung; Gaue des "Altreichs"; Die "Reichsgaue". Aus dem Inhalt: Vorwort der Herausgeber 1. Grundfragen Thomas Schaarschmidt, Regionalität im Nationalsozialismus Kategorien, Begriffe, Forschungsstand Jürgen John, Die Gaue im NS-System Rüdiger Hachtmann, "Neue Staatlichkeit" Überlegungen zu einer systematischen Theorie des NS-Herrschaftssystems und ihrer Anwendung auf die mittlere Ebene der Gaue Bernhard Gotto, Dem Gauleiter entgegen arbeiten? Überlegungen zur Reichweite eines Deutungsmusters Michael Ruck, Kommentar 2. Politikfelder 2.1 Rassenpolitik und "Euthanasie" Ingo Haar, Biopolitische Differenzkonstruktionen als bevölkerungspolitisches Ordnungsinstrument in den Ostgauen: Raum- und Bevölkerungsplanung im Spannungsfeld zwischen regionaler Verankerung und zentralstaatlichem Planungsanspruch Winfried Süß, Zur Rolle der Gaue in der regionalisierten "Euthanasie" (1942-1945) Susanne Heim, Kommentar 2.2 Wissenschaft, Bildung, Kultur Martina Steber, Fragiles Gleichgewicht. Die Kulturarbeit der Gaue zwischen Regionalismus und Zentralismus Jürgen Finger, Gaue und Länder als Akteure der nationalsozialistischen Schulpolitik. Württemberg als Sonderfall und Musterbeispiel im Altreich Michael Grüttner, Hochschulpolitik zwischen Gau und Reich Willi Oberkrome, Kommentar 3. Die NS-Gaue Gauverwaltung und Gau-Porträts 3.1 Gauverwaltung Armin Nolzen, Die Gaue als Verwaltungseinheiten der NSDAP. Entwicklungen und Tendenzen in der NS-Zeit Gerhard Kratzsch, Das wirtschaftspolitische Gauamt: der Gauwirtschaftsberater 3.2 Gau-Porträts 3.2.1 Gaue des "Altreichs" Detlef Schmiechen-Ackermann, Das Potential der Komparatistik für die NS-Regionalforschung Vorüberlegungen zu einer Typologie von NS-Gauen und ihren Gauleitern anhand der Fallbeispiele Süd-Hannover-Braunschweig, Osthannover und Weser-Ems Walter Ziegler, Bayern Ein Land, sechs Gaue Kristina Hübener/ Wolfgang Rose, Der brandenburgische NS-Gau Eine Bestandsaufnahme Kyra Inachin, Der Gau Pommern Eine preußische Provinz als NS-Gau Wolfgang Stelbrink, Provinz oder Gau? Die beiden westfälischen NS-Gaue auf dem beschwerlichen Weg zu regionalen Funktionsinstanzen des NS-Staates Thomas Müller, Der Gau Köln-Aachen und Grenzlandpolitik im Nordwesten des Deutschen Reiches Wolfgang Freund, Rassen- und Bevölkerungspolitik in einem expandierenden Gau: Rheinpfalz Saarpfalz Westmark Ryszard Kaczmarek, Zwischen Altreich und Besatzungsgebiet. Der Gau Oberschlesien 1939/41-1945 Michael Kißener, Kommentar 3.2.2 Die "Reichsgaue" Martin Moll, Der Reichsgau Steiermark 1938-1945 Ernst Hanisch, "Land" und "Reichsgau" Salzburg 1938-1945 Michael Wedekind, Expansion und regionale Herrschaftsbildung in der "Ostmark" am Beispiel des Gaues Tirol-Vorarlberg Dieter Pohl, Die Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland: Koloniale Verwaltung oder Modell für die zukünftige Gauverwaltung? Magnus Brechtken, Kommentar

2. Politikfelder (S. 105)

2.1 Rassenpolitik und "Euthanasie"
Ingo Haar
Biopolitische Differenzkonstruktionen als bevölkerungspolitisches Ordnungsinstrument in den Ostgauen: Raum- und Bevölkerungsplanung im Spannungsfeld zwischen regionaler Verankerung und zentralstaatlichem Planungsanspruch

1. Nationalsozialistische Polenpolitik: Heinrich Himmler und Hitlers "neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse"
Als Hitler am 12. März 1938 Österreich überfiel und am 29. September 1938 durch das Münchener Abkommen Böhmen und Mähren an das Reich band, war für das Deutsche Reich ein Teil der Grenzverschiebungen der Versailler Nachkriegsordnung gewaltsam revidiert. In Folge des Münchener Abkommens erzielte Hitler den Beitritt der neu entstandenen Slowakei und Ungarns zu den Achsenmächten. Der erste Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 regelte die Rückgabe von Teilen der Südslowakei und der Karpato-Ukraine an Ungarn.

Somit erhielt auch Ungarn einen Teil der Gebiete zurück, die dieser Staat nach dem Vertrag von Trianon an die damalige Tschechoslowakei verloren hatte. Was Hitler anstrebte, war aber mitnichten die alleinige Revision der Pariser Vorortverträge, sondern der Aufbau eines "Großdeutschen Reiches" – quasi als "Erbe der Donaumonarchie" und im wesentlichen zu Lasten der territorialen Integrität Polens – und die Gewinnung neuen Lebensraumes vor allem in Ostmitteleuropa.

In der Tat einigten sich Hitler und Stalin am 23. August 1939 darauf, Polen gemeinsam anzugreifen und aufzuteilen: An das Deutsche Reich fielen demzufolge alle Gebiete westlich der Flüsse Narew, Weichsel und San, alle Gebiete östlich dieser Linie gingen an die Sowjetunion. Als beide Seiten am 28. September erneut zusammentraten, um Polens vierte Teilung zu besiegeln, einigten sich die Vertragspartner darauf, dass Deutschland bis an den Bug vorrücken könne, womit Hitler zusätzlich die Woiwodschaften Warschau und Lublin erhielt, während Stalin Litauen als Herrschaftsgebiet reklamierte.

Ferner wurde ausgehandelt, dass sämtliche Angehörige deutscher Minderheiten, die in den der Sowjetunion zugeschlagenen Gebieten lebten, für die Übersiedlung in das "Deutsche Reich" optieren konnten. Ebenfalls am 28. September 1939 legte Hitler seine Idee von der Erringung der deutschen Weltherrschaft gegenüber Vertretern der Wehrmacht offen. Seine weitreichenden Pläne enthielten auch eine umfassende Genozidandrohung: "Dschingis Chan hat Millionen Frauen und Kinder in den Tod gejagt, bewußt und fröhlichen Herzens. Die Geschichte sieht in ihm nur den großen Staatengründer.

[...] Ich habe den Befehl gegeben [...], daß das Kriegsziel nicht im Erreichen von bestimmten Linien, sondern in der physischen Vernichtung des Gegners besteht. So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidslos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier? [...] Polen wird entvölkert und mit Deutschen besiedelt. [...] Nach Stalins Tod, er ist ein schwerkranker Mann, zerbrechen wir die Sowjetunion. Dann dämmert die deutsche Erdherrschaft herauf."

Wie Hitlers Pläne schrittweise umgesetzt werden sollten, zeigte der Befehl Reinhard Heydrichs vom 21. September 1939 an die Chefs seiner Einsatzgruppen. Diese sollten die ehemaligen preußischen Ostgebiete, aber auch die "besetzten Gebiete[...]" Polens von "Jud

Jürgen John, geboren 1942, ist Professor für Moderne Mitteldeutsche Regionalgeschichte am Historischen Institut der Universität Jena.

Horst Möller, geboren 1943, em. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität München, war bis 2011 Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.

Thomas Schaarschmidt arbeitet am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam als Koordinator des Projektverbunds Zeitgeschichte Berlin-Brandenburg und lehrt Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Leipzig.